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ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening: „Es geht um viel“

Unmittelbar nach dem bundesweiten Apothekenprotesttag am 14. Juni veröffentlicht das reichweitenstarke Apothekenkundenmagazin My Life einen exklusiven Kommentar mit ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening. Wir freuen uns, dass der Artikel, der die Gründe für den Protesttag erklärt und einordnet, so viele Leserinnen und Leser erreichen wird.

Den vollständigen Beitrag finden Sie in der aktuellen My Life auf Seite 35 und hier:

 

Es geht um viel 

 

Die Vor-Ort-Apotheken arbeiten fieberhaft daran, die Arzneimittelversorgung trotz Lieferengpässen zu sichern – und werden dafür von den Kassen bestraft. ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening über eine einzigartige Protestaktion der Apotheken. 

Am 14. Juni dieses Jahres zeigte sich vielen Patientinnen und Patienten ein ungewohntes Bild: Die Apotheken blieben geschlossen. Wir, die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände – hatten zuvor den 14. Juni als bundesweiten Protesttag festgelegt. Diese Entscheidung fiel uns nicht leicht. Schließlich sind die Apothekenteams als verlässliche Problemlöser für ihre Patienten da – auch nachts und am Wochenende. Mit Blick auf die derzeitige Lage in der Arzneimittelversorgung war es dringend nötig, ein deutliches Zeichen in Richtung Politik zu senden. 
Denn es geht um viel. Wir als Expertinnen und Experten für Arzneimittel kennen das Versorgungssystem gut – die Apothekerinnen und Apotheker können beurteilen, wenn etwas schiefläuft in der Arzneimittelversorgung. Und jetzt schlagen wir Alarm. Immer häufiger ist das für unsere Patientinnen und Patienten verordnete Medikament nicht verfügbar. Grund dafür sind auch Sparverträge der Krankenkassen, die wegen ihrer Niedrigpreis-Mentalität mitzuverantworten haben, dass ein Großteil unserer lebensnotwendigen Medikamente inzwischen in China und Indien produziert wird. Dieses Rabattsystem ist völlig überreguliert – in Deutschland gibt es fast 36 000 solcher Verträge. 
In den Apotheken vor Ort sorgt das zunehmend für Ärger. Denn meistens finden die Apothekenteams zwar noch ein Alternativpräparat, das bei einem Lieferengpass abgegeben werden kann. Häufig werden wir Apothekerinnen und Apotheker dann aber trotz unseres Einsatzes mit einer Strafzahlung der Krankenkassen „bedroht“. Die Apothekenteams müssen schon jetzt bis zu 20 Stunden pro Woche investieren, um mit Ersatzmedikamenten für nicht lieferbare Produkte zu versorgen. Wir retten damit jeden Tag Leben. Dass Krankenkassen Apotheken vor Ort für diese verlässliche Versorgung auch in Notsituationen bestrafen, muss ein Ende haben. Die Politik darf den Lobby-Verbänden der Krankenkassen nicht länger freie Hand lassen und muss die sogenannten Null-Retaxationen sofort abschaffen. 

Der Sparwahn der Krankenkassen ist aber nicht das einzige Sorgenkind der Apotheken. Die Apothekenzahl ist schon lange rückläufig; in Deutschland gibt es seit Längerem weit weniger Apotheken vor Ort als im EU-Durchschnitt. Hinzu kommt, dass sich immer mehr Pharmaziestudierende nach ihrem Studium für eine Tätigkeit außerhalb der Apotheken entscheiden. Die Folge ist, dass wir in den Apotheken unter enormen Personalproblemen leiden. Einer der Gründe für diese Entwicklung ist, dass die Apothekengründung für den pharmazeutischen Nachwuchs wirtschaftlich immer unattraktiver wird. Mit Blick auf die sinkende Apothekenzahl und die Honorarkürzung, die uns die Ampel-Koalition nach drei Jahren Pandemie-Einsatz gerade aufgedrückt hat, wollen viele junge Menschen derzeit nicht in eine eigene Apotheke investieren. 

Das dürfen wir nicht zulassen. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, werden immer mehr Gemeinden keine Apotheke mehr haben – die Bürgerinnen und Bürger müssen dann weite Wege zur nächsten Apotheke vor Ort auf sich nehmen. Ziel unseres Protesttages ist es daher, die Politik auf die dramatische Situation hinzuweisen. Für die Inhaberinnen und Inhaber von Apotheken muss es sich auch wirtschaftlich wieder lohnen, eine Apotheke zu betreiben. Zuletzt sind unsere Kosten und Ausgaben explodiert: Die Inflation ist gestiegen, die Strom- und Gaspreise ebenso – unser Grundhonorar ist seit elf Jahren auf demselben Stand! Elf Jahre, in denen die Einnahmen der Krankenkassen und die Tariflöhne um ein Vielfaches geklettert sind. 

Der Bundestag hat in den kommenden Wochen die historische Gelegenheit, diesen Negativ-Strudel aufzuhalten. Die Abgeordneten diskutieren derzeit ein Lieferengpass- Gesetz, das zum jetzigen Stand aber eine einzige Enttäuschung ist. Die Bundesregierung hat bislang unsere Warnhinweise ignoriert. Wir hoffen, dass sich die Abgeordneten nach unserem Protesttag an den Wert der Apotheken vor Ort für die Gesellschaft erinnern. Unseren Patientinnen und Patienten danken wir für das Verständnis!