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Deutschland – kein Wintermärchen

„Es war einmal ...“ – so fingen früher Märchen an. Gesammelt, bearbeitet, geschrieben von großen deutschen Dichtern der Romantik wie Wilhelm Hauff und Ludwig Bechstein oder den Gebrüdern Grimm und dem berühmten dänischen Dichter Hans Christian Andersen. Ihre Märchen überdauern nun schon zweihundert Jahre. Von Kindern geliebt. Von Eltern und Großeltern vorgelesen. In der ganzen Welt verbreitet. Ein leuchtendes Beispiel deutscher literarischer Kultur. Vorbei? Nur weil zu Wohlmeinende uns klarmachen wollen, dass Märchen nicht mehr in die Zeit passen? Politisch unkorrekt seien sie? Zu unwirklich? Zu grausam? Nichts mehr für Kinder? Die Gegenwart könnte Kindern Schlimmeres zumuten. 

Es war einmal – so fangen eben nicht nur Märchen an. So beginnt auch die Schilderung deutscher Realität im Gesundheitswesen. Es war einmal ein Land, in dem es keine Lieferprobleme für lebenswichtige Arzneimittel gab. Ein Land, in dem Kinder mit Infektionen ohne Probleme in jeder Apotheke ihren Fiebersaft bekamen. Ein Land, in dem in den Apotheken genügend Vorräte an blutdrucksenkenden Medikamenten lagerten. An Schmerzmitteln, an Antibiotika, an Psychopharmaka, an Krebsmitteln. Und an hunderten weiterer Arzneimittel mit aktuell riesigen Lieferlücken und erschreckend geringer Verfügbarkeit. 

Es war auch ein Land, in dem die Patienten sicher sein konnten, dass sie genau die verschriebenen Medikamente in ihrer Apotheke auch erhalten würden. Doch dieses Land gibt es nicht mehr. Heute zwingen die Lieferschwierigkeiten bei vielen Präparaten die Apotheken allzu oft zur Improvisation. Nach Alternativen müssen sie suchen, mit dem Arzt, dem Großhandel, mit der Industrie und mit Kollegen kommunizieren. Wenn es geht, selbst Arzneimittel fertigen. Mit pharmazeutischem Sachverstand alles tun, um der Therapie der ersten Wahl für den Patienten möglichst nahe zu kommen. Eine Leistung – zeitraubend und kompliziert und voller Probleme bei der Abrechnung mit den Krankenkassen. Doch der Patient soll nicht unter den schlimmen Auswirkungen einer verfehlten Gesundheitspolitik leiden. Auch wenn der Staat sich seit Jahren um die Vergütung dieser Leistungen drückt.

Denn auch das ist Wahrheit. Es war einmal ein Staat, der die Leistungen, die er den Apotheken gesetzlich für die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung abverlangte, auch angemessen vergütete. Das war in einer Zeit, in der Minister – ganz gleich welchen Ressorts – noch wirtschaftliche Grundkenntnisse besaßen und nicht Umsatz und Ertrag verwechselten. Die noch wussten, dass es Gesundheit nicht zum Nulltarif geben kann. Eine Zeit, in der ein Gesundheitsminister die Sorge um die Gesundheit der Menschen und die Versorgungssicherheit im Lande wirklich ernst nahm. Eine Zeit, die deshalb weder Lieferkatastrophen für lebenswichtige Arzneimittel kannte noch tausende Apothekenschließungen ungerührt geschehen ließ. 

Was soll all das Gejammere? Könnten Sie jetzt sagen. Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“? Sie kann nicht wiederkommen, könnten Sie sagen. Doch, sie kann. Es bedarf „nur“ eines Gesundheitsministers – Frau oder Mann – mit hohem Verantwortungsgefühl für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, unarrogant und zuhörend. Mit einem klaren Sinn für die Prioritäten im Gesundheitswesen – der Beseitigung der gefährlichen Arzneimittelengpässe und des Apothekensterbens, der Klinikpleiten und des Pflegenotstands.  Einer, der sich endlich einmal nicht als „Sparminister“ zu Lasten der Patienten, der Ärzte, der Apotheken, der Krankenhäuser, der Arzneimittelhersteller begreift. Während seine Ministerkollegen das Geld der Steuerzahler mit vollen Händen ausgeben. Wofür auch immer und wohin auch immer.

Was wir also brauchen, ist ein Gesundheitsminister mit Mut. Einen, der die Lösungen, die auf dem Tisch liegen, auch umsetzt. Und der dafür kämpft, dass endlich mehr Geld ins System fließt. Das ist seit Jahren überfällig. Allerdings jetzt besonders schwierig. Denn die Notwendigkeit, das Gesundheitswesen nachhaltiger zu finanzieren, fällt in eine Zeit, in dem jetzt plötzlich Sparen angesagt ist. Doch wer an der kritischen Infrastruktur spart, am Gesundheitssystem, entzieht dem Land und seinen Bürgern langsam aber sicher eine ihrer wichtigsten Lebensgrundlagen. Also kämpfen. Wer ein „Wintermärchen“ schaffen will, muss Schnee schippen. Natürlich ist das harte Arbeit. 

Aber kann man das von einem Minister nicht verlangen?