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Lieferengpässe: "Wir müssen das Problem an der Wurzel packen und nachhaltige Lösungen finden"

NOWEDA-Chef Dr. Michael Kuck im Interview mit dem auflagenstarken Publikumsmagazin Superillu.

SuperIllu: Herr Dr. Kuck, in Deutschland werden Medikamente zur Mangelware. Welche sind denn gerade besonders knapp?

Dr. Kuck: Es fehlen Arzneimittel für viele verschiedene Krankheitsbilder. Aktuell sind besonders Erkältungspräparate, Schmerzmittel und Fiebersenker knapp. Wir könnten sofort über 500.000 Packungen Fiebersaft herausgeben, wenn wir sie denn nur zur Verfügung hätten. Was mich besonders bedenklich stimmt, ist die Tatsache, dass sogar Antibiotika nicht mehr gut verfügbar sind.

SuperIllu: Wie lange ist die Situation denn schon so angespannt?

Dr. Kuck: Die Lieferengpässe gibt es schon seit einigen Jahren. In den letzten Monaten hat sich die Lage jedoch deutlich verschärft und wird sich auch im neuen Jahr so schnell nicht entspannen. Das wird gerade sehr deutlich, weil eine Krankheitswelle über das Land rollt. Im Dezember 2022 wurden zum Beispiel 150 Prozent mehr Hustenlöser benötigt als im Vorjahresdezember. Bei einigen Präparaten liegen die Absätze im Vorjahresvergleich sogar 300-400 Prozent höher. Da das System aber ohnehin schon auf Kante genäht ist, kann die erhöhte Nachfrage nicht mehr bedient werden.

SuperIllu: Deutschland galt früher als Apotheke der Welt. Wieso werden wichtige Wirkstoffe hierzulande nicht mehr hergestellt?

Dr. Kuck: Die guten alten Zeiten sind leider vorbei, als alle wichtigen Medikamente noch hierzulande produziert wurden. Das Dilemma hat einen wesentlichen Ursprung in den Rabattverträgen der Krankenkassen. Früher wurden die Medikamente von verschiedenen Herstellern erstattet. Als Folge des immer größer gewordenen Spardrucks im Gesundheitswesen dürfen die Kassen Exklusivverträge mit den Pharmaunternehmen abschließen. Die Apotheken sind dadurch verpflichtet, den Patienten ausschließlich diese Rabattarzneimittel abzugeben. Der günstigste Anbieter bekommt dabei den Zuschlag. Alle anderen Anbieter sind dann für zwei Jahre raus. Und kann man sein Produkt zwei Jahre lang nicht verkaufen, kann es sein, dass sich dessen Produktion gar nicht mehr lohnt. Deutschland ist für viele Hersteller schon lange nicht mehr attraktiv.

SuperIllu: Die Pharmaunternehmen lassen aufgrund der niedrigeren Kosten lieber in Fernost produzieren ...

Dr. Kuck: ... und genau das ist ein riesiges Problem. Die Produktion ist in den vergangenen Jahren ganz massiv aus Deutschland abgewandert. Mittlerweile befinden sich in China für viele Wirkstoffe die weltweit einzigen Fabriken. Ich will mir gar nicht vorstellen, dass die Chinesen uns einmal nicht mehr beliefern können oder wollen. Dann würde unser Gesundheitssystem kollabieren. Wir sind zu abhängig von Arzneimitteln aus China. Das ist weitaus schlimmer als die Abhängigkeit zu russischem Gas, denn das konnten wir relativ schnell durch andere Lieferquellen kompensieren. Die Auswirkungen des Corona-Lockdowns in China spüren wir gerade sehr schmerzhaft, weil die Medikamentenlieferungen ins Stocken geraten sind.

SuperIllu: Gibt es die Möglichkeit, die Arzneimittel-Produktion wieder zurückzuholen?

Dr. Kuck: Damit Deutschland wieder zu einem attraktiven Produktionsstandort wird, muss die Politik endlich die passenden Rahmenbedingungen für die Unternehmen schaffen. Das ist eines unserer wichtigsten Anliegen. Machbarkeitsstudien zeigen, dass das funktionieren kann. Doch eine Arzneimittelproduktion lässt sich nicht mal eben in zwei Monaten aufbauen. Das ist ein Prozess, der sich über mehrere Jahre ziehen wird. Deshalb ist es so wichtig, dass wir jetzt den Grundstein dafür legen, damit wir in wenigstens in fünf bis zehn Jahren wieder eine vernünftige Produktion in Deutschland oder zumindest in Europa haben werden. Bis dahin bleiben wir weiterhin von Ländern wie China und auch Indien abhängig.

SuperIllu: Könnten die Apotheken nicht einfach selbst Arzneimittel herstellen?

Dr. Kuck: Apotheker können durchaus einige Präparate selbst produzieren, wie etwa Fiebersenker. Und viele machen das auch schon. Doch die Eigenproduktion ist sehr zeitaufwendig und kann die hohe Nachfrage niemals abdecken. Darüber hinaus werden auch viele Medikamente gebraucht, die die Apotheken nicht selbst herstellen können.

SuperIllu: Ein weiteres Problem ist das Apothekensterben. Ist dadurch die flächendeckende Versorgung gefährdet?

Dr. Kuck: Das ist eine weitere Folge unseres kaputtgesparten Systems. Alle 27 Stunden schließt in Deutschland eine Apotheke. Das sind über 300 im Jahr. In den Großstädten fällt das nicht weiter auf, weil es dort genügend Alternativen gibt, jedenfalls noch. Es gibt aber Landstriche, wo es weit und breit keine Apotheke mehr gibt. Im europäischen Vergleich sind viele andere Länder gemessen an der Bevölkerungsdichte mittlerweile besser versorgt als wir in Deutschland. Das ist eine Katastrophe.

SuperIllu: Bundesärztekammerpräsident Klaus Reinhardt hat angesichts der wachsenden Knappheit vorgeschlagen, die Menschen sollen sich gegenseitig durch „Flohmärkte für Medikamente“ versorgen ...

Dr. Kuck: ... ich bin von dieser Idee absolut entsetzt und kann nur davon abraten, sich Medikamente beim Nachbarn zu besorgen. Erst recht, wenn sie abgelaufen sind. Statt über aktionistische Maßnahmen zu diskutieren, sollten wir alles in Bewegung setzen, um das Problem an der Wurzel zu packen und nachhaltige Lösungen zu finden.

SuperIllu: Wie könnte eine so eine Lösung Ihrer Meinung nach aussehen?

Dr. Kuck: Kurzfristig sollte die Politik zumindest den Ausschreibungsmechanismus der Rabattverträge reformieren. Es wäre sicherlich zielführend, wenn für jeden Rabattvertrag mindestens drei Anbieter ausgewählt werden müssten. Dann bleibt es immerhin für drei Hersteller interessant im Markt zu bleiben und das Ausfallrisiko sinkt. Das gibt es zwar schon heute bei einigen Kassen, aber eine Pflicht dazu gibt es nicht. Mittel- und langfristig müssen wir die Produktion nach Deutschland, mindestens aber nach Europa zurückholen. Das müssen wir so schnell wie möglich angehen.