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Durchgereicht

Kein Zweifel – Deutschland wird durchgereicht. Schleichend seit Jahren schon. Jetzt auch für jeden sichtbar. In der Wirtschaft, in der Bildung, im Gesundheitswesen, bei der Infrastruktur, im Wohnungsbau. Überall geht es abwärts. Auch beim Wachstum. Unter den Industrienationen auf dem letzten Platz. Fragt man nach den Ursachen, hört man tausend Erklärungen. Fragt man nach den Lösungen, gibt es keine Antworten. Was also tun?

Zunächst einmal – eine lähmende Bürokratie liegt über dem Land. Frischer Wind ist gefragt. Doch wer traut sich? Politiker, sind sie erst einmal Minister, wollen glänzen. Ihren politischen Fußabdruck hinterlassen. Gesetze machen. Und jedes Gesetz fügt der unendlichen Regelungswut weitere Bürokratie hinzu. Dazu kommt die Fleißarbeit der Europäischen Union. Für Abbau, für Vereinfachung, für Aufhebung und Schleifen von Gesetzen und Verordnungen fühlt sich niemand zuständig. Kommissionen schaffen nicht einmal Reförmchen.

Eine Lösung wäre, auf Gesetze, denen keine wirtschaftliche Vernunft zugrunde liegt, zu verzichten. Wie zum Beispiel auf das seit Januar 2023 in Deutschland geltende „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“.  Alle Unternehmen ab 3 000 Mitarbeitern – ab 2024 mit mehr als 1 000 – müssen nachweisen, dass es nirgendwo in ihrer Lieferkette zu einem Verstoß gegen die Menschenrechte kommt. Je länger, je verzweigter, je globaler aber die Lieferkette ist, desto aufwendiger und teurer ist der permanente Nachweis. Bei Verstößen drohen drastische Bußgelder. Unternehmen werden deshalb den bürokratischen Aufwand minimieren. Wird dann in den ärmsten Ländern, denen ohne Menschenrechtsstandards, nichts mehr eingekauft? Bürokratie als Jobkiller in der vierten Welt?

Über Bürokratie klagt auch die Bauwirtschaft. Die hat es aktuell besonders schwer. Der Wohnungsbau liegt am Boden. Kein Wunder. Bauen ist teuer. Schleppende Genehmigungs- verfahren, hohe Sicherheitsanforderungen und teure Klimaschutzmaßnahmen treiben die Preise. Dieses baufeindliche Paket trifft jetzt auf inflationsbedingte Kostensteigerungen und steigende Bauzinsen. Und so muss sich wohl eine ganze Generation vom Erwerb von Eigentum verabschieden. Aber wo mit dem Abbau teurer Bau-Hemmnisse anfangen? Vielleicht bei den Investitionen in (zu) hohe Sicherheitsstandards? Volkswirtschaftlich sind die nicht immer sinnvoll. So lehnt die Schweiz den zwingenden Einbau von Rauchmeldern ab. Was ist mit übertriebenem Klimaschutz? Kann man den zurückdrehen gegen den „Mainstream“? Ein politisches Aufheulen wäre wohl die Folge. Also keine vernünftige Lösung für schnelleres und kostengünstigeres Bauen? Das wäre fatal.

Vielleicht würde es schon helfen, wenn die Politik zuhören würde. Der Bundeswirtschaftsminister der Wirtschaft, die Bundesbauministerin der Bauwirtschaft, der Bundesgesundheitsminister den Krankenhäusern, den Ärzten, den Apotheken, den Arzneimittelherstellern. Im Gesundheitswesen funktionierte das früher. Das ist allerdings Jahrzehnte her. Aber da hörte die Politik zu. Da konnte noch mit der Ministerialbürokratie diskutiert und um die beste Lösung gerungen werden. Um sie dann einvernehmlich zu verabschieden. Eine Mannschaftsleistung. Heute wird seitens der Politik jede Klage der Beteiligten und jede Forderung, sei sie auch noch so berechtigt – als Lobbyismus abgetan. Vernunft im Gesundheitswesen? Schwer vorstellbar.

Zwar blitzt manchmal Hoffnung auf. Etwa wenn der Bundesgesundheitsminister auf seiner Webseite schreibt: „Übertriebene Ökonomisierung hat die Arzneimittelversorgung mit patentfreien Medikamenten über die letzten Jahre deutlich verschlechtert. Wir korrigieren das...“. Doch diese Korrektur – das „Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs-und Versorgungsverbesserungsgesetz“ (ALBVVG) vom Juli 2023 –  eine einzige Enttäuschung. Ein paar Erleichterungen für Apotheken bei der Abgabe von Arzneimitteln mit Lieferengpässen. Ein paar Preisanhebungen zugunsten der Hersteller. Und die Verpflichtung für pharmazeutische Unternehmen zum Aufbau eines sechsmonatigen Vorrats  von eben jenen raren Arzneimitteln. Das löst kein Lieferproblem. Denn auf jede der raren Packungen wartet heute in der Apotheke händeringend ein Patient. Da muss der Großhandel liefern. Wie soll er einen Bestand aufbauen?

Man stelle sich vor, alle Talsperren in Deutschland seien leer. Nur hier und da tröpfelt es vom Himmel. Die Menschen kämpfen um jedes Glas Wasser. Doch die Politik hat die Lösung – die Betreiber werden per Gesetz verpflichtet, die Talsperren ständig halb gefüllt zu halten.

Auch wenn es nicht regnet.