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Ende einer Ära

Mehr Geld ausgeben als man einnimmt, das ist einfach. Das kann jeder. Wenn die Kassen leer sind, muss man eben neues Geld auftreiben. Bei Aktionären zum Beispiel. Denen muss man nur die Zukunft des Unternehmens in rosigsten Farben schildern. Dann fließt frisches Kapital. Wie bei der Schweizer Zur Rose AG, der Muttergesellschaft des Arzneimittelversandkonzerns DocMorris. Und wie bei dem Arzneigroßversender Shop Apotheke. Beide Versender sitzen in Holland. Und greifen von da aus den deutschen Apothekenmarkt an. 

Doch mit dem, was in den letzten Monaten geschah, haben wohl beide Unternehmen nicht gerechnet. Ihnen sind die Aktionäre in hellen Scharen davongelaufen. Wenn Aktionäre das Vertrauen in ein Unternehmen verlieren, verkaufen sie die Aktien. Schnell, bevor es die anderen tun. Doch so denken alle. Und so kollabierte denn der Aktienkurs der Shop Apotheke von 237 Euro im Februar 2021 auf gerade einmal  40 Euro im Oktober 2022. Den Zur-Rose-Börsenkurs traf es noch schlimmer. Der sank im gleichen Zeitraum von seinem Höchststand von 470 Euro auf aktuell nur noch 26 Euro. Was für ein Absturz!

War mit einer solchen Entwicklung zu rechnen? Eigentlich nicht. Wuchsen doch beide Versandunternehmen nicht nur durch die Corona-Pandemie. Sie profitierten auch von der jahrelangen großzügigen Haltung aller deutschen Bundesregierungen gegenüber dem Arzneimittelversand. Von Ulla Schmidt (SPD) über Rösler und Bahr (beide FDP) bis Jens Spahn (CDU) – mit unfassbar naiven und alle Risiken ordnungsgemäßer Arzneimittelversorgung außer Acht lassenden Gesetzen ermöglichten die jeweiligen Gesundheitsminister es den ausländischen Arzneiversandhändlern, den deutschen Arzneimittelmarkt aggressiv anzugehen. 

Und genau dies taten die Arzneimittelversandkonzerne – mit Erfolg. 3 300 akutversorgende Apotheken blieben im letzten Jahrzehnt auf der Strecke. Überall in Deutschland nahm die Apothekendichte ab, die Wege wurden länger, die Arzneimittelversorgung auf dem Land wurde schwieriger. Doch aggressive Kundenwerbung plus billige Preise ergeben noch kein tragfähiges Geschäftsmodell. Zwar sind beide Versandkonzerne damit rasant gewachsen. Und mit diesem Umsatzwachstum um jeden Preis hat man Aktionäre, Banken und Investoren lange Zeit bei der Stange gehalten. Doch damit scheint jetzt Schluss zu sein. Jahr für Jahr zuzusehen, wie viele Millionen Euro verbrannt werden, ohne dass Ertrag in Sicht ist, war wohl zu frustrierend. Das Kapital sucht ökonomisch seriösere Anlagemöglichkeiten. 

Könnte man daraus schließen, dass sich nun die Geschäftspolitik der Arzneiversandkonzerne ändert? Eher nicht. Immer noch gibt es Optionen für die Versender, die sie hoffen lässt. Da ist zum einen die Einführung des elektronischen Rezepts. Bisher haben die Versandhändler noch wenig Umsatz im rezeptpflichtigen Segment. Zu kompliziert ist der Versand der Papierrezepte. Und nach der flächendeckenden Einführung des E-Rezepts? Mit einem „Klick“ – so stellt man sich vor – ist man dann beim Kunden und seinem Rezept. Doch das E-Rezept lässt auf sich warten. Das macht nervös. Und wird der Patient mitspielen? Oder wird er weiterhin sein Rezept bei der Apotheke seines Vertrauens einlösen? Die Versender sind unsicher.

Sicher sein können sich die Arzneiversandkonzerne aber weiterhin des Wohlwollens der Bundesregierung. Die wird nämlich die deutschen Apotheken mit ihrer neuen Gesundheitsreform wieder einmal zusätzlich belasten. 120 Mio. Euro netto sollen sie gemäß GKV-Finanzstabilisierungsgesetz aufbringen. Das schwächt die Apotheken. Großversender mit Sitz im EU-Ausland bleiben von Schröpfplänen der Bundesregierung derweil verschont. 

Auch hinsichtlich Lieferwegen und Transportgegebenheiten können sich die großen Versender entspannt zurücklehnen. Vor-Ort-Apotheken und der vorgelagerte pharmazeutische Großhandel unterliegen einer strengen Kontrolle, ob die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden, die eine hohe Arzneimittelqualität gewährleisten sollen. So etwa darf der pharmazeutische Großhandel Arzneimittel nur in speziell dafür vorgesehenen klimatisierten Fahrzeugen an die Apotheken ausliefern. Bei einem Kauf in der Apotheke können Verbraucher daher sehr sicher sein, dass temperaturempfindliche Medikamente vorab nicht viele Stunden in einem überhitzten Transporter lagen. Arzneiversender bzw. die von ihnen beauftragten Logistikunternehmen haben auf ihrem Weg zum Kunden keine Kontrollen zu befürchten – weder von niederländischen noch von deutschen Arzneimittelbehörden. 

Messen mit zweierlei Maß.