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Fiebersaft

„Es gibt keinen Fiebersaft“. Seit Beginn der Erkältungssaison im letzten Jahr alarmierten die Kinderärzte mit diesem Warnruf regelmäßig die Öffentlichkeit. Wenn eine Infektion mit Schmerzen und Fieber ihre kleinen Patienten leiden ließ, half nur Fiebersaft. Davon gab es aber viele Monate lang nicht genug. Immer wieder war Fiebersaft in den Apotheken ausverkauft. Auch die Lager des pharmazeutischen Großhandels waren oft leer. Die Apotheken gaben und geben ihr Bestes. Sie suchen nach Alternativen. Stehen in ständigem Kontakt mit Ärzten, Großhandel und Kollegen. Damit nicht nur die Kinder bestmöglich versorgt werden.

Denn Apotheken und Großhandel ringen ja nicht nur um Fiebersaft. Seit Jahren fehlen immer wieder lebenswichtige Medikamente. Bei über dreihundert Arzneimitteln – dazu gehören Antibiotika, Blutdrucksenker, Schmerzmittel, Asthmasprays, Insuline und selbst Krebsmittel – gibt es ständig Lieferprobleme. Mangelwirtschaft bei Arzneimitteln in einem der reichsten Länder der Erde. Allerdings selbstverschuldet. Denn wir zahlen offensichtlich nicht den Preis, für den die Hersteller den Markt beliefern können oder wollen. Ausgerechnet beim Thema „Gesundheit“ für uns alle sind wir sehr kostenbewusst. Während wir sonst mit den Milliarden nur so um uns werfen.

Am Beispiel „Fiebersaft“ lässt sich die Problematik gut erklären. Für die Flasche Paracetamol-Fiebersaft zahlten die Krankenkassen den Herstellern zehn Jahre lang den gleichen Festbetrag von 1,36 €. In dieser Zeit stiegen die Löhne um 30 %, der Preis des Wirkstoffs Paracetamol um 70 %. Die meisten Hersteller warfen das Handtuch. Heute ist nur noch einer in Deutschland übrig. Nicht zuletzt aufgrund der öffentlichen Diskussion erhöhten die Kassen den Preis zum 1. Januar 2023 um 7 Cent. Klingt lächerlich. Aber selbst bei weiteren 50 % Aufschlag, wie in dem neuen Gesetz angedacht, wären es nur 2,14 €. Damit soll der Hersteller dann die nächsten zehn Jahre leben?

Dieses Gesetz, das„Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungs- gesetz“ – welch ein sprachlicher Bandwurm! –soll Abhilfe schaffen. Doch das, was der Name suggeriert, bringt das Gesetz nicht. Zwar wird es Verbesserungen in den Abgabe- und Austauschmöglichkeiten von Medikamenten für die Apotheken geben. Und die Hersteller sollen ein „Frühwarnsystem“ für drohende Lieferengpässe mit zeitnahen Daten füttern. Aber selbst der vorgesehene Aufbau eines mehrmonatigen „Sicherheitsbestands“ in Großhandel und Apotheken löst die eigentlichen Probleme nicht. Die Verlagerung der Produktion in ferne Billigländer und die damit verbundenen Lieferlöcher bleiben. Wer will, dass die Arzneimittelproduktion in Deutschland bleibt oder nach Deutschland zurückkehrt, muss den Herstellern Planungssicherheit bieten. Sonst werden wir auch in Zukunft mit den Lieferproblemen bei lebenswichtigen Medikamenten leben müssen. Vielleicht mit größeren als heute.

Um echte Lösungen zu finden, müssen Gesundheitspolitiker allerdings Vertrauen in die Seriosität der Marktteilnehmer und ihre Argumente haben. Und sie müssten die realen Fakten des Marktes zur Kenntnis nehmen. Paula Piechotta, Ärztin, Bundestagsabgeordnete und Gesundheitsexpertin von Bündnis 90/Die Grünen, zeigte vor einigen Wochen bei einem Termin, wie weit sie davon entfernt ist. Nur wer nicht weiß, – oder wem es egal ist – , dass tausende Apotheken schon dicht sind und jedes Jahr dreihundert weitere schließen müssen, kann notwendige Vorschläge, das Apothekensterben durch geeignete Maßnahmen – auch finanzielle – zu stoppen, eine „Wunschliste an den Weihnachtsmann“ nennen.

Dazu passt, dass Piechotta auch die Lieferengpässe bei lebenswichtigen Arzneimitteln herunterspielte. Einen Zusammenhang zwischen der rigiden Preisdrückerei der Krankenkassen in den letzten zwanzig Jahren und dem Abwandern der Arzneimittel- und Wirkstoffproduktion in die fernöstlichen Billigländer konnte sie nicht erkennen. Dass Hersteller bei Kostensteigerungen ihre Preise im Prinzip nicht anheben können, solange die Kassen den Festbetrag nicht anheben, – und das kann zehn Jahre dauern – war für sie nur unternehmerisches Risiko. Und sie meinte, bei 100.000 Medikamenten, die es im Markt gebe, seien 300 mit Lieferschwierigkeiten nicht viel. Dass es die dreihundert wichtigsten sind, fiel für Piechotta anscheinend nicht ins Gewicht.                                               

Politikern, die so argumentieren, zuzutrauen, auch nur eines der vielfältigen Probleme im Gesundheitswesen zu lösen, fällt schwer.