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Lieb Vaterland, magst ruhig sein ...

Kennen Sie Udo Jürgens noch? Ein leuchtender Stern am deutschen Schlagerhimmel. Vom Publikum geliebt. Heute im Radio fast vergessen. Anfang der Siebziger schrieb sein Texter, Eckhart Hachfeld, einen Songtext für ihn – „Lieb Vaterland, magst ruhig sein“. Zu wenig Schulen habe das Land, zu wenige Lehrer, zu teure Kasernen und „für Krankenhäuser fehlen dir Millionen“, sang Udo Jürgens damals. Der Song wühlte die Bundesrepublik auf. 1971 war das. Vor einem halben Jahrhundert. Kommt Ihnen aktuell etwas davon bekannt vor?

Eigentlich hat sich wenig geändert. Immer noch fehlen saubere, moderne Schulen. Immer noch fehlen laut Lehrerverband bis zu 40 000 Lehrer. Und immer noch fehlt es an Geld für die Krankenhäuser. Nur dass aus den fehlenden Millionen inzwischen Milliarden geworden sind. Und die Kasernen heute? Gerade erst haben sie 100 Milliarden Euro bekommen. Zu wenig – sagt der Verteidigungsminister. Also immer noch teuer.

Solange es den Menschen gut geht, ertragen sie manches Unangenehme mit Gleichmut. Solange sie sich sicher fühlen, begehren sie nicht auf. Doch diese Zeit scheint vorbei zu sein. Die letzten Landtagswahlen in Hessen und Bayern haben es gezeigt. Jetzt herrscht Panik im politischen Betrieb. Jetzt werden hektisch schnelle Änderungen versprochen, Konferenzen zusammengetrommelt, Gesetze durchgepeitscht. Doch was über Jahrzehnte vergessen, verdrängt und verbockt wurde, lässt sich das im Schnellgang reparieren? Im Gesundheitswesen jedenfalls nicht.

Ob Krankenhausmisere, Pflegenotstand, Apothekensterben, Lieferengpässe bei Arzneimitteln oder Ärztemangel auf dem Lande – alles ist hausgemacht. Alles über Jahrzehnte gewachsen. Haben die Kliniken nicht ständig darüber geklagt, dass die Bundesländer ihrer Verpflichtung zur Krankenhausfinanzierung nicht nachkommen? Bis heute schieben die Kliniken einen milliardenschweren Investitionsstau vor sich her. Ohne Hoffnung auf eine solide Lösung. Stattdessen wurden hunderte Krankenhäuser geschlossen, hunderte andere privatisiert. Die restlichen Kliniken stecken zum Teil in tiefroten Zahlen. Jetzt sollen unter dem Vorwurf „Qualitätsmängel“ weitere schließen. Ausdünnung der Krankenhauslandschaft und Abbau von Betten inklusive.

Am schnellsten würde man wohl Erfolge bei der Beseitigung der dramatischen Lieferengpässe bei Arzneimitteln sehen. Hierfür müsste „nur“ das Ausschreibungs-Unwesen um die Rabattverträge der Krankenkassen radikal beendet werden. 32 000(!) Verträge bearbeiten die knapp 100(!) Krankenkassen inzwischen. Die hohen Kosten für Verhandlungen, Pflege und Kontrolle von Ausschreibungen und Lieferverträgen wären mit einem Schlag vom Tisch. Und die Bürokratie in Arztpraxen und Apotheken auch. Natürlich würden die Preise dann steigen. Aber marktgerechte Preise würden schnell auch wieder genügend Arzneimittelmengen in den Markt spülen. Welche Erleichterung bei den Patienten!

Das Apothekensterben hingegen wäre nicht so einfach zu beenden. Aber wenn man das Problem heute nicht angreift – wann dann? An den Anfang gehört eine Reform der Apothekenvergütung. Viertausend Apothekenschließungen in den letzten zwei Jahrzehnten sind der Beweis, dass viele Apotheken heute nicht mehr rentabel geführt werden können. Weitere zweitausend Apotheken werden wohl in den nächsten fünf Jahren verschwinden. Diese gefährliche Entwicklung aufhalten wollte bisher kein Gesundheitsminister. Und so fühlen sich die Apotheken in ihren existenziellen Sorgen hingehalten und verschaukelt. Wen wundert es, dass sie ihre Enttäuschung mit Streiks, Protesttagen und zeitweisen Apothekenschließungen in die Öffentlichkeit tragen? Doch hilft das?

Die Politik scheint es vergessen zu haben – für die Bevölkerung ist Sicherheit eines der wichtigsten Themen im täglichen Leben. Auch und ganz besonders beim Thema Gesundheit. Doch der geplante weitere Kahlschlag in der Krankenhauslandschaft, die staatliche Duldung, ja, Förderung des Apothekensterbens, das Ausbluten der ärztlichen Versorgung auf dem Lande und das politische Desinteresse an einer echten Lösung des Pflegenotstands haben eines gemeinsam – die Unsicherheit wächst.

„Lieb Vaterland, magst ruhig sein, doch schlafe nicht auf deinen Lorbeern ein“, hieß es im Udo-Jürgens-Schlager weiter. Und „die Jugend wartet auf deine Hand“. Sieht so aus, als würde der Jugend von dieser Hand neben einem Riesenberg an Schulden auch jede Menge Unsicherheit hinterlassen.

Wenn sich nicht schnell etwas ändert.