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Mehr Mut, Herr Minister!

Manchmal verzweifelt man an der deutschen Gesundheitspolitik. Warum sehen Politiker nicht, was der Bürger Tag für Tag sieht und erlebt? Arzneimittelknappheit. Apothekensterben. Krankenhausschließungen. Pflegenotstand. Sind Abgeordnete blind? Oder nur desinteressiert an Lösungen für die drängendsten Probleme im Gesundheitswesen? Schließlich haben sie es ja geschafft. Wer im Bundestag sitzt, hat keine Sorgen. Abgeordnetenentschädigung, Altersentschädigung, eine Freikarte der Bahn. Inzwischen hat sich das auch unter jüngeren Leuten herumgesprochen. Die Qualifikation? Ein abgebrochenes Studium reicht. Gepaart mit fehlender Lebenserfahrung, null Sachkenntnis und einem übersteigerten Selbstbewusstsein. So das gängige Klischee. Aber stimmt das auch?

Sicher – einige solcher Fälle gibt es. Aber die Regel ist es nicht. Denn sonst hätte man eine allzu plausible Erklärung für die vielen gesundheitspolitischen Fehlentscheidungen der letzten Jahrzehnte mit ihren dramatischen Folgen für die Versorgungssicherheit. Und für die vielfältigen Proteste der Leistungserbringer im Gesundheitswesen. Krankenhäuser, Ärzte, Apotheker, Arzneimittelhersteller – für alle hält die Gesundheitspolitik ständig neue Einschränkungen und Belastungen bereit. Erst kürzlich haben die Verbände der Ärzte, Zahnärzte und Apotheker in einem Brief an den Bundeskanzler eindringlich davor gewarnt, dass das Gesundheitssystem so „vor die Wand“ gefahren wird.

Doch „die Gesundheitspolitik“ gibt es nicht. Gesundheitspolitik wird von Menschen gemacht. Nur – von wem? Vom Gesundheitsausschuss des Bundestages etwa? 42 ordentliche Mitglieder hat er. Plus 42 Ersatzmitglieder. Sind die etwa alle schlecht ausgebildet, fachliche Nullen, inkompetent? Im Gegenteil. Vier Abgeordnete haben direkte Beziehungen zur Kranken- oder Altenpflege, dreizehn von ihnen haben Medizin studiert, vierzehn Jura, sechzehn Wirtschaftswissenschaften. Auch die meisten übrigen können ein Studium vorweisen. Ein Gremium von kompetenten Frauen und Männern also. Warum sind die Gesundheitsgesetze dann so schlecht?

Es liegt in einem Ministerium – wie bei Unternehmen und Verwaltungen auch – immer an der Person an der Spitze. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat seine eigenen Vorstellungen und Prioritäten. Kein Gesundheitsausschuss kann ihn zwingen, die wirklich drängenden Probleme anzufassen. Er ist es, der in dieser Legislaturperiode allein die Verantwortung dafür trägt, dass viele Krankenhäuser schließen müssen. Dass Arztpraxen auf dem Lande seltener werden. Dass wichtige Medikamente weiterhin knapp sind. Und dass alleine in seiner Amtszeit weitere 2 000 Apotheken schließen müssen. Steht das so im Koalitionsvertrag?

Es gibt natürlich Begründungen fürs Nichthandeln. Wenn man zum Beispiel die drängendsten Probleme im Gesundheitswesen nicht als „drängendst“ anerkennt. Nicht die katastrophalen finanziellen Probleme vieler Kliniken. Nicht die gefährliche Arzneimittelknappheit aufgrund unzureichender Preise für die Hersteller. Nicht das leise Sterben von fünfhundert Apotheken im Jahr aus Rentabilitätsgründen. Auch nicht die unzureichende Finanzierung der Arztpraxen bei dramatisch steigenden Kosten. Und schon gar nicht die traurige Entwicklung auf dem Pflegesektor. Wenn man das alles „nicht so schlimm“ findet, dann braucht man auch nichts zu tun. Oder nur ein bisschen.

Es kann allerdings auch fehlende Courage sein. Ulla Schmidt (SPD), Gesundheitsministerin von 2001 bis 2009, hatte Courage. In diesem Fall – leider. Sie führte die Neuerungen ein, die heute den Kern der Probleme bilden. 2003 krempelte sie die Krankenhausfinanzierung nach amerikanischem Vorbild so um, dass die Kliniken seitdem mit ihren Budgets nicht mehr auskommen. Hunderte mussten schließen. Hunderten weiteren droht der Kollaps. 2004 erlaubte sie ohne Not den Versandhandel mit Arzneimitteln. Der sorgte für den Tod von viertausend Apotheken. Bisher. Und nicht zuletzt führte sie im Jahre 2006 das Ausschreibungsunwesen der Krankenkassen ein. Deren Rabattgier war nicht zu bremsen. Die kleinen Hersteller gaben auf, die großen suchten sich bessere Partnerländer. Dorthin fließen heute die Medikamente, die den dramatischen Engpass in Deutschland bilden.

Das alles muss aufhören. Die Lösungen liegen auf dem Tisch.Auch wenn das richtig Arbeit bedeutet.Was Ex-Gesundheitsministerin Schmidt eingeführt hat, lässt sich mit der gleichen Courage auch wieder abschaffen.

Also, Herr Bundesgesundheitsminister, mehr Mut! Die Zeit drängt! Cannabis ist nicht der Nabel der Welt.