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Endlich der Anfang vom Ende?

Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröders „Agenda 2010“ hat die SPD schon beerdigt. Dabei war die Agenda wirtschaftlicher Motor für ein Jahrzehnt. Aber sie hat der SPD kein Glück gebracht. Und keine Wählerstimmen. Ob die Reform der Reform – „Hartz IV“ wird zum aufgestockten „Bürgergeld“ – wenigstens den Arbeitsmarkt ankurbelt, muss sich zeigen. Bisher hat die Aufnahme von Millionen Migranten und Flüchtlingen nicht zu einem Boom im Dienstleistungsbereich geführt. Postdienste ohne Zusteller, Supermärkte ohne Kassierer, Transportunternehmen ohne Fahrer, Altenheime ohne Pflegepersonal, Gastwirte ohne Bedienungen – von fehlenden Haushaltshilfen und Reinigungskräften ganz zu schweigen. Und das bei stagnierender Wirtschaft. 

Läutet SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nun auch das Ende der Reformen von Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) ein? Während ihrer Dienstzeit von 2001 bis 2009 hat sie gravierende Neuerungen eingeführt. Mit dramatischen Auswirkungen auf das Gesundheitssystem. So etwa die „Fallpauschalen“ in der Krankenhausfinanzierung. Fallpauschale bedeutet:  gleicher Krankheitsfall – gleiche Vergütung von der Krankenkasse. Hört sich logisch an. Doch kein Krankheitsfall ist wie der andere. Das pauschale Abgelten  – ungeachtet der effektiv angefallenen Behandlungskosten – hat zu massiven Finanzproblemen im Krankenhaussektor geführt. Das Ergebnis: immer wieder die Schließung angeblich „unwirtschaftlicher“ Häuser. Von 2400 Kliniken im Jahre 1990 sind heute nur noch 1900 übrig. Darunter leiden aktuell insbesondere kranke Kinder.

Lauterbach will die Fallpauschalen jetzt weitgehend abschaffen. „Daher ist diese Reform [...] aus meiner Sicht eine Revolution im System […]", meint er. Es wäre wirklich eine Revolution. Aber sie ist auch dringend notwendig. Die unzureichende Finanzierung durch die Fallpauschalen hat zu einem enormen Kostendruck geführt. Und damit zu einem starken Überlastungssyndrom der im Krankenhaus tätigen Menschen. Überall fehlt Personal. Die Corona-Pandemie mit vielfacher Krankheit und Quarantäne hat die Stationen weiter ausgedünnt. Leidtragende sind die Patienten.

Wie stellt sich der Gesundheitsminister die Finanzreform vor? Drei Kliniktypen soll es in Zukunft geben. Typ 1 sind die Krankenhäuser für die wohnortnahe Grundversorgung. Typ 2 die größeren Kliniken mit Spezialisierung und Schwerpunktversorgung. Der dritte Typ konzentriert sich auf die Maximalversorgung.  Jeder der drei Kliniktypen soll eine andere Form der Vergütung erhalten. 

Die Krankenhäuser für die wohnortnahe Grundversorgung – Typ 1– erleben dabei die größte „Revolution“. Bisher waren sie verlustbringender Steinbruch für Schließungen und Aufkäufe durch private Krankenhauskonzerne. Mit der neuen Finanzierung könnte damit Schluss sein. Denn sie sollen in Zukunft überwiegend über „Vorhaltekosten“ finanziert werden. Wie die Feuerwehr. Die bekommt Geld, auch wenn es nicht brennt. Das macht die kleineren Krankenhäuser wieder "systemrelevant". 

Doch Lauterbach kommt dabei den Bundesländern in die Quere. Die vernachlässigen zwar sträflich ihre Pflicht zur Finanzierung der Investitionen in den Kliniken. Aber umso heftiger bestehen sie auf ihrem Recht der Krankenhausplanung. So will NRW-Landesgesundheitsminister Laumann (CDU) sein Konzept der Konzentration von Kliniken weiter durchziehen. Auch mit Schließungen ganzer Abteilungen. „Zum Wohle der Patienten“, sagt er. Ein Etikettenschwindel. Es geht nur um Einsparungen.

Wird sich der Bundesgesundheitsminister jetzt auch die anderen Baustellen aus dem gesundheitspolitischen Nachlass von Ulla Schmidt vorknöpfen? Schließlich hat sie auch die höchst umstrittenen Rabattverträge und den Arzneiversandhandel eingeführt. Mit den Rabattverträgen drangsalieren die Krankenkassen die Hersteller immer noch heftig. Und nageln so die Produktion von Arzneimitteln und Grundstoffen in weit entfernten Regionen fest. Mit dem Ergebnis, dass hunderte Arzneimittel nicht lieferbar sind.                                                               

Der Arzneimittelversand verursachte über die Jahre hinweg den schleichenden Tod von über 3500 Apotheken. Das Apothekennetz wird dünner und dünner. Eine große Gefahr für die flächendeckende Arzneimittelversorgung. Nicht zuletzt auch vor dem  Hintergrund der aktuellen sicherheitspolitischen Neuorientierung. In beiden Fällen muss Gesundheitsminister Lauterbach dringend eingreifen. 

Warum nicht auch hier mit einer „Revolution“?