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Lauterbach – und die ungelösten Probleme

Herr, es ist Zeit, der Sommer war sehr groß... Das war er wirklich, der Sommer des Jahres 1902. Und er beflügelte den Dichter Rainer Maria Rilke zu seinem wunderbaren Gedicht „Herbsttag“. Empfehlenswert, es noch einmal nachzulesen. Steht auch im Internet. Groß war auch der Sommer des Jahres 2022. Heiß war es. Wochenlang. Mit Spitzenwerten von über 40 Grad an manchen Orten. Und heiß war auch die Temperatur innerhalb der Regierungskoalition. Doch während wir in einen kühleren Herbst tauchen, kocht und brodelt es in Berlin immer noch. Oder besser – immer wieder.

Mittendrin im Gemenge – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Von allen Seiten fällt man über ihn her. Einerseits war er während der Pandemie beim Volk als temperamentvoller Gast in zahllosen Talkshows beliebt. Da gab er als Arzt und Epidemiologe den großen Mahner und Warner. Das war vor der Bundestagswahl. Andererseits legte er das Reden und Besserwissen und Mahnen in der Öffentlichkeit auch nicht ab, als er im Dezember 2021 Bundesgesundheitsminister wurde. Und das in einer Koalition, die von ihm solide gesundheitspolitische Handwerksarbeit erwartete. Doch lieferte er die? Die Koalitionsparteien – selbst aus seiner SPD – waren meist anderer Meinung.

Dabei gibt es im Gesundheitsbereich mehr als genug Baustellen. Eine konsequente Pandemie-Strategie zum Beispiel, die aber auch die Covid-19-Müdigkeit der Bevölkerung angemessen berücksichtigt. Auch ein anderes Finanzkonzept für die Krankenkassen müsste her. Eines, das nicht wieder eine Milliardenlast auf die Pharmaindustrie abwälzt. Nach wie vor existiert bei lebenswichtigen Arzneimitteln eine gefährliche Abhängigkeit von Produktionsstandorten in Fernost. Mit problematischen Lieferausfällen. Neue Belastungen für Pharmahersteller holen aber die Produktion von Grundstoffen und Medikamenten nicht zurück nach Deutschland. Warum sollte man auch in ein Land zurück, dass einem permanent in die Kasse greift und sich bedient?  

Auch ein „Masterplan“ für die Krankenhausentwicklung ist nicht in Sicht. Ein Plan, der nicht dem „Plattmachen“ von kleineren Krankenhäusern, der Konzentration auf Großkliniken und einer zunehmenden Privatisierung von Kliniken durch Krankenhausketten huldigt. So, wie ihn die Bundesländer vorantreiben. Sondern ein Plan, der auch nationale Risikoüberlegungen, soziale Aspekte und die Ängste der Bevölkerung vor immer weiterer Entfernung zum rettenden Krankenhaus im Blick hat. Und längst überfällig ist auch eine zukunftsfähige Reform der Krankenhausfinanzierung. Weg von den Fallpauschalen, die nur den großen Kliniken Nutzen bringen. Ist nicht jeder Krankheitsfall anders?

Und es fehlt an einer Zukunftsstrategie für die Arzneimittelversorgung. Eine,  die Patientenbetreuung, Versorgungssicherheit und Verbrauchernähe gleichermaßen garantiert. Eine, die das Apothekensterben und das Ausbluten der Arzneimittelversorgung auch in der Fläche nicht weiter duldet. Und nicht zuletzt eine Strategie, die nicht einseitig die großen Arzneiversandkonzerne jenseits der Grenzen verhätschelt. In Verkennung der Gefahren, die von den Versandkonzernen für die Akutversorgung mit Arzneimitteln durch die Vor-Ort-Apotheken ausgehen. Eine übertriebene Sorge? Weltweit agierende Unternehmen wie der Versandriese Amazon suchen ständig nach Geschäftsfeldern, die eine neue Wachstumsstory bieten.

Doch die Beschäftigung mit den großen ungelösten Problemen im Gesundheitswesen ist nicht Lauterbachs Sache. Jedenfalls kommt nichts Innovatives dazu aus seinem Ministerium. Umso mehr widmet sich Lauterbach seinem Lieblingsthema – Covid 19. Die Bevölkerung und die Unternehmen sind längst zu vorsichtiger Normalität zurückgekehrt. Wie die Länder um Deutschland herum. Wer sich schützen will, trägt Maske. Japan macht das seit Jahrzehnten so. Nicht vergessen – der Ursprung der Anti-Corona-Politik in Deutschland lag in der Furcht vor Überlastung der Kliniken und der Intensivstationen. So wie wir sie dramatisch medienwirksam in Italien sehen konnten. Doch die ist nicht in Sicht. Und die heutigen Krankheitsverläufe sind im Ganzen milder. Ist es da nicht an der Zeit, dass jeder wieder die Verantwortung für seine eigene Gesundheit selbst übernimmt?

Aber dann hätte Lauterbach kein Thema mehr. Er müsste sich den ungelösten schwierigen Problemen im Gesundheitswesen stellen. Das ist harte Arbeit. Da warnt er lieber vor einem heißen Covid-Herbst und einem schlimmen Corona-Winter.

Und wenn er denn käme, der schlimme Corona-Winter? Sind wir gewappnet? Genug Intensivbetten? Genug Personal? Genug Impfstoff? Genug Arzneimittel? Endlich eine aussagekräftige Statistik? Endlich eine großzügige Finanzierung von Studien zu Long-Covid?

Oder gehört das alles dann auch zu den ungelösten Problemen?