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„Lege nie alle Eier in einen Korb!“

Wer in diesen Monaten mit einem Rezept in eine Apotheke geht, hat nicht immer Glück. Mal ist das verschriebene Arzneimittel da, mal nicht. Die Apotheke kann nichts dafür. Der Lieferant der Apotheke, der Pharmagroßhandel, auch nicht. Und der Hersteller? Der ist weit weg. Er ist zwar schuld, aber irgendwie auch wieder nicht. Denn er wurde gezwungen, die Produktion nach China zu verlegen. Aus Kostengründen. China aber liefert nicht. Das ist die Stunde der Apotheken. Kein Patient wird nach Hause geschickt, ohne dass ihm geholfen wird. Es wird nach Alternativen gesucht. Es wird mit dem Arzt telefoniert. Mit dem Großhandel. Mit dem Hersteller. Mit Kollegen. Ein Kraftakt. Aber irgendwie ergibt sich meist eine Lösung. Doch wie konnte es soweit kommen?

„Lege nie alle Eier in einen Korb!“ Ein kluger Ratschlag. Wer hat das Urheberrecht?  Vielleicht das Mittelalter? Da konnte ein Korb voller Eier überlebenswichtig sein. Fiel er hin und die Eier zerbrachen, war vielleicht Hunger angesagt. Aber auch die Börse kennt die Mahnung. Nicht nur in die Aktien einer einzigen Firma investieren! Doch was hat der kluge Rat mit den zurzeit herrschenden Lieferschwierigkeiten  für zahlreiche Medikamente zu tun?

Es waren die gesetzlichen Krankenkassen, die viele Jahre lang Ei für Ei – Arzneimittel für Arzneimittel – in den berühmten Korb legten. Diese gefährliche Einkaufspolitik hat ihnen vor zwanzig Jahren eine kurzsichtige, nur an Einsparungen interessierte Gesundheitspolitik erlaubt. Ab diesem Zeitpunkt durften die Kassen Ausschreibungen für einzelne Arzneimittel machen. Die Gewinner bekamen alles. Den gesamten Bedarf der Kassenmitglieder an einem Medikament zum billigsten Preis. Doch nur für zwei oder drei Jahre. Dann ging die Prozedur von neuem los. Und der Preis sank weiter. Bis sich die Produktion hierzulande für den Arzneimittelhersteller nicht mehr rechnete. Lösungen mussten her.

Da kam der Trend zur Globalisierung gerade recht. Die großen, international tätigen Arzneimittelproduzenten suchten nach billigeren Herstellerländern. Und wurden vor allen Dingen in China fündig. So verlagerte sich die Herstellung von vielen lebenswichtigen Medikamenten langsam aber unaufhaltsam dorthin. Und nicht nur das – China übernahm auch gleich noch die Produktion von Grundstoffen.

Dass nun alle Eier in einem Korb lagen – und dass dies gefährlich war –  merkte man zunächst nicht. China schien ein verlässlicher Partner zu sein. Und die globalen Lieferketten funktionierten. Doch schon Jahre vor dem Ausbruch der Pandemie schlugen zuerst die Krankenhäuser Alarm. Wichtige Medikamente wurden nicht in ausreichender Menge geliefert. Die Klinikärzte mussten improvisieren, auf andere Arzneimittel ausweichen. Der Staat handelte, aber ohne tieferes Problembewusstsein, mit einem Melderegister für Lieferengpässe. Doch das reichte nicht.

Inzwischen allerdings ist das Problem auf höchster politischer Ebene angekommen. Der Gesundheitsminister steht unter Druck. Über dreihundert Arzneimittel sind inzwischen von starken Lieferschwierigkeiten betroffen. Darunter Blutdrucksenker, Antibiotika, Insuline, Schmerzmittel, Asthmasprays und sogar Krebsmittel.  China liefert nicht oder zu wenig. Nicht nur, weil das riesige Land mit seinen 1,4 Milliarden Menschen mit brutaler Quarantäne gegen die Pandemie ankämpfte. Wer zuhause sitzt, kann keine Grundstoffe liefern, keine Maschine bedienen, keine Kartons packen, kein Schiff beladen. Die Lieferkette ist gerissen. Aber Abwarten ist keine Option. Was ist zu tun?

Zum einen – Schluss mit Ausschreibungen und Rabattverträgen! Stattdessen Festsetzen eines marktgerechten Preises pro Produkt für alle Hersteller. Wer dazu liefern will, darf liefern. Der riesige bürokratische Aufwand bei Krankenkassen, Ärzten, Apotheken, Großhandel und Produzenten für Ausschreibungen und die Suche nach dem „richtigen“ Produkt würde dann entfallen. Auch für die Patienten würde vieles einfacher.

Und zum anderen – die Produktion muss zurück nach Europa. Am besten nach Deutschland. Dass das schnell geht, ist allerdings nicht zu erwarten. Kann ein Land, das zehn Jahre braucht, um eine Brücke zu erneuern, Standorte für Pharmafabriken aus dem Boden stampfen?  

Bis dahin gilt – die deutschen Apotheken wehren sich weiterhin tapfer gegen Lieferengpässe. Mit großem Zeitaufwand, hohem pharmazeutischem Sachverstand und jeder Menge guten Willens. Gut zu wissen, dass sich die Bevölkerung darauf verlassen kann.