Kontakt

Wer krank ist, braucht wirksame Medikamente

„Arzneimittel sind Waren besonderer Art, sie können Krankheiten heilen und Leben retten. Jedoch können sie auch durch unzureichende Qualität oder missbräuchliche Anwendung Patienten großen Schaden zufügen…“ Darauf wies einst in einem Merkblatt das „Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren“ des Bundeslandes Baden-Württemberg hin. Heute heißt es „Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration“. Und das Merkblatt findet man im Netz nicht mehr.

„Unzureichende Qualität“? Nicht bei uns. Ob global agierende Arzneimittelhersteller oder Kleinunternehmen – in Deutschland liefern fast alle Hersteller ihre Präparate an den Pharmazeutischen Großhandel. Von dort gelangen sie sicher in die Apotheken. Es muss schnell gehen. Denn Tag für Tag verlassen Millionen Patienten mit ihren Rezepten die Arztpraxen. Sie brauchen ihre Medikamente gleich. Genauso wie die Kranken, die direkt in der Apotheke Rat und Hilfe suchen. Und so sind die eiligen Lieferfahrzeuge des Pharmagroßhandels – viele mit der Aufschrift „Die Apotheke hilft“ – aus dem Straßenbild von Stadt und Land nicht wegzudenken.

Die schnellen Großhandelsflitzer haben es „in sich“. Neben Wannen voller Arzneimittel ist das Innenleben dieser Lieferwagen auch ein Qualitätsversprechen. „GDP“ ist das Zauberwort. „GDP“ ist ein Gesetzeswerk der Europäischen Union mit strikten Qualitätsvorgaben für die Lagerung und Lieferung aller (!) Arzneimittel – nicht nur der rezeptpflichtigen –  über die gesamte Lieferkette. Nur Unternehmen, die diese Regeln einhalten, dürfen Arzneimittel ausliefern.

Wichtigstes Ziel der GDP-Richtlinien ist die Sicherheit des Arzneimittels für den Patienten. Niemand soll durch Mängel bei der Lagerung oder Lieferung von Arzneimitteln in seiner Gesundheit geschädigt werden. Dabei geht es besonders um die konsequente Einhaltung von Temperaturvorgaben. Denn Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels hängen zu einem großen Teil von der Temperatur des Medikaments in der Lieferkette ab. Zu kalt ist ebenso schlecht wie zu heiß. Daher müssen fast ausnahmslos alle Arzneimittel – sofern nicht noch strengere Vorschriften gelten – bei einer Temperatur zwischen 15 und 25 Grad gelagert und geliefert werden.

Doch Temperaturregelung ist teuer. Sowohl was die Investitionen anbetrifft als auch die Energiekosten. Denn die riesigen Lagerhallen des Pharmagroßhandels müssen im Winter beheizt und im Sommer gekühlt werden. Auch bei wochenlangen Hitzewellen. Das gleiche gilt für die Lieferung in die Apotheken. Alle Lieferwagen werden permanent geheizt oder gekühlt, je nach Bedarf. Das alles wird streng kontrolliert, damit kein Arzneimittel während des Lager- oder Liefervorgangs einen Teil seiner Wirksamkeit durch Temperaturüber- oder -unterschreitungen verliert.

Wie aber sieht es im europäischen Arzneimittelversandhandel aus? Selbstverständlich sind auch die Versandhandelsunternehmen, die Arzneimittel nach Deutschland verschicken und zum Teil dafür mit bekannten Prominenten werben, verpflichtet, die Temperaturvorgaben einzuhalten. Doch es gibt keine Kontrollen. Die ausländischen Behörden – zum Beispiel in Holland – kümmern sich nicht darum, weil die Arzneimittel nach Deutschland gehen. Die deutschen Behörden verweisen auf die Verantwortung der ausländischen Versandhandelskonzerne für die Einhaltung der Temperatur-Richtlinien.

So tut denn keiner etwas. Die Versender liefern weiter Medikamente aus. Ohne behördliche Kontrolle. Auch im Hochsommer und im Winter. Ob das politisch gewollt ist?  Weil sich sonst der Arzneimittelversand nicht mehr lohnen würde? Denn klimatisierte Laderäume in Autos sind rar. Und machen die Lieferung von Versandarzneimitteln komplizierter und langsamer. Und teurer. Wenn nicht gar unmöglich.

Und die Patienten? Zwar wissen sie, dass die Versender ihre Arzneimittel quer durch immer heißere Sommer und kühle Winter zu ihnen nach Hause transportieren. Zusammen mit Briefen, Päckchen und Paketen. Egal, wie kalt oder heiß es draußen ist. Egal, wie lange das Medikament im Auto schmort. Egal, wie oft es in heißen Hallen umgeladen wird. Aber wissen sie auch, dass Temperaturüber- oder -unterschreitungen Medikamente weniger wirksam machen können? Und dass die strengen GDP-Richtlinien das verhindern sollen?

Und stellen die Patienten die Frage, warum die deutsche Gesundheitspolitik diese Zustände duldet? Bislang nicht.

Aber besser wäre es. In eigenem Interesse.